Kunst - Mobilität - Nachhaltigkeit München O2.07.2003
Mobilität bedeutet für uns -
in der zivilisierten Welt Europas und Nordamerikas – vorwiegend
Freiheit. Wir fliegen z.B. für wenige Euro von Hamburg nach Stockholm,
gleiten im klimatisierten ICE über einbetonierte Stahlstränge von A nach
B und genießen auf der Fahrt von Köln nach Paris in luxuriös
ausgestatteten Fahrgastzellen, geschützt von Airbags und berauscht von
Stereoklängen, die sich verändernden Landschaftsbilder. Just-in-time
Logistik ermöglicht uns kostengünstigen Handel, prompte Lieferung von
Gütern, ermöglicht uns Produktvielfalt. Mobilität ist die Grundlage
unseres Wirtschaftssystems geworden. Und schon längst hat sich die
Mobilität im Zeitalter der Globalisierung von der physischen
Verbundenheit mit dem Boden auf dem wir stehen, verabschiedet.
Geldwerte Produkte sind zu Informationspäckchen - abgepackt in Bytes and
Bites - mutiert. Wir erwirtschaften unseren Wohlstand mit virtuellen
Produkten, bewertet an den Börsen der Weltwirtschaftsmetropolen,
gesteuert durch das Prinzip des Shareholder-Value. Unsere Devise lautet:
Ohne Technik keine Mobilität. Ohne Mobilität kein Wohlstand. Ohne
Wohlstand keinen Frieden.
In Krisengebieten bedeutet
Mobilität jedoch Unfreiheit, Krieg, Not und Vertreibung. Zerstörte
Straßen und Bahnlinien sowie Kraftstoffmangel beeinträchtigen dort
Mobilität oder verhindern sie ganz. Lebensraum von Millionen von
Menschen durch menschliche Urkräfte zerstört, auf den Stand des
Altertums in Sekunden zurückgebombt, Mobilitätstechnik auf Holzwagen und
Holzboote reduziert.
Hier setzt meine Idee des
Folgswagen 2000 an. Mobilität bedeutet für mich auch immer „geistige
Mobilität“. Das hier vorgestellte Fahrgestell ist von mir gewissermaßen
aus (meiner) Vergangenheit „rück“- geholt und ohne große technische
Überholung wieder fahrtüchtig gemacht worden. In seiner Funktionalität
gleicht es vielen Gefährten vergangener Epochen, jedoch auch der
heutigen Welt. Der Folgswagen ist jedoch ausgestattet mit dem Wissen der
modernen Wissenschaft und der Zukunft unseres Planeten, symbolisiert
durch das Kind und anderer auf dem Wagen installierter Figuren.
So nutzt z.B.
der Autor, auf dem Kopf stehend im Bildschirm balancierend, seine Zehen
als Antennen, nutzt sein Handwerk, seine vielschichtige Situation
auslotend. Körper und Geist sind bei ihm eins - physische und psychische
Mobilität sind nicht voneinander zu trennen. Die gesamte Ausstellung
hat ein Innen und Außen. Der Wagen draußen, die Mitreisenden drinnen.
Der Grenzgänger, Blowing in the Wind, Global Worker, Artist, Kopfvogel
etc. die Verwandlung des Erfinders auf dem Wagen zum www-guide in der
Grafik, last but not least der V.I.P., den Gefederten, Geputzten oder
Geehrten.
Prof. Horst
Mewes, Boulder/ USA nennt den Folgswagen 2000 im Katalog eine
herausfordernde Gesellschaft und erinnert an Johan Huizinga aus Leyden
und sein berühmtes Buch „Homo Ludens“. Im „Spielen“ Verwandlung zu
erfahren, die es ermöglicht, Bekanntes mit visionärem zu verbinden, den
schmalen Grad des Grenzgängers zu teilen, Netzwerke zu entwickeln, die
uns in unserer komplizierten und reichlich unbekannten Welt helfen,
Überlebenscodes zu entwickeln, gleichzeitig hinabzutauchen in uns
Bekanntes, Althergebrachtes.
Was kann nun Kunst, was kann
der Folkswagen 2000 dazu beitragen, der Gesellschaft bei der Lösung
ihrer Probleme zu helfen. W. Kandinsky sagte bereits vor Jahrzehnten,
dass wirkliche Kunst immer Empörung auslöse, weil sie immer einen
Schritt weiter sein werde als das Bekannte. In der Tat soll Kunst
provozieren, um Freiraum für neue Ideen zu schaffen. Es bleibt eine
wichtige Funktion der Kunst, fehlgeleiteten gesellschaftlichen
Entwicklungen etwas entgegenzusetzen. Jeder Künstler wird so automatisch
zum Gegenspieler der Gesellschaft - nicht weil er es will, sondern weil
er nicht anders kann. Kunst ist eine wahre Berufung, das Hinterfragen
der Kunst eine gesellschaftliche Verpflichtung.
Der Folkswagen reist durch
die Lande. In seiner Wahrnehmung ist er immer ein anderer, in Osnabrück,
in Cloppenburg, heute bei Ihnen in München. Überall löst er andere
Reaktionen aus. Der Bauer, die Hausfrau, das Kind, der Handwerker – sie
alle stellen ihm eigene Fragen - auch der Wissenschaftler. Wichtig
erscheint mir folgendes: Kunst schafft bewußt Irritationen und fordert
zum Nachdenken auf. Sie ermöglicht im Idealfall einen neuen oder anderen
Blick auf Problemstellungen. Kunst kann helfen, zementierte Standpunkte
in der Wissenschaft neu zu überdenken und neue Antworten auf
Herausforderungen unserer modernen Gesellschaft zu finden.
Kunst und Wissenschaft sind
nicht voneinander zu trennen. Johan Huizenga formulierte: Kunst ist die
höchste Form des Spiels. Ernst Peter Fischer sagt in seinem gerade
erschienen Buch „Die andere Bildung“: „Künstler erfinden oft neue
Strukturen, die Wissenschaftler anschließend in der Natur finden. Mit
anderen Worten: Die Entwürfe der Kunst können eine Schule des Sehens für
die Naturwissenschaften werden.“
...diese Schule des Sehens im
Sinne von Nachhaltigkeit, sozial ausgewogen und umweltverträglich zu
fördern und in unserem Denken zu verankern ist Aufgabe von Gesellschaft,
Politik und Unternehmen.
Mit einem von ihm im
Ausstellungskatalog verwendeten Zitat von Ossip Zadkine möchte ich
schließen: „ Lasst die Dinge etwas sein oder tun, was sie eigentlich
nicht sind oder tun aber eigentlich sein oder tun sollten.“